Lexikon
Amotivationales Syndrom/Amotivationssyndrom
Das Amotivationale Syndrom soll einen durch dauerhaften starken Cannabiskonsum erzeugten Zustand der Antriebslosigkeit, Gleichgültigkeit und des allgemeinen Desinteresses und damit verbunden ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit und des Verantwortungsgefühls sowie der Vernachlässigung der eigenen Erscheinung bei dem/der KonsumentIn beschreiben.
Allerdings sind diese Erscheinungen, angeblich verursacht durch dauerhafte und nicht rückgängig machbare Veränderungen bzw. Schädigungen im Gehirn durch starken Cannabisgebrauch, nie nachgewiesen worden. Die Theorie vom Amotivationssyndrom mit dauerhaftem Cannabiskonsum als Auslöser gilt heute als überholt.
Zitat: "Einige Autoren interpretieren einen Zustand von fehlendem Arbeitswillen, Motivationsverlust und Apathie als Residuum [1] eines cannabisinduzierten organischen Psychosyndroms. Dieser Zustand wurde Ende der sechziger Jahre mit dem Terminus "amotivationales Syndrom" (Smith 1968) belegt. Unterstützung erhält diese These durch Kasuistiken [2] und Berichte von ehemaligen Konsumenten, die einen solchen Zustand als Grund für die Beendigung ihres Konsums angaben (Jones 1984). Klinische Studien führten zu widersprüchlichen Ergebnissen, so daß die Existenz eines cannabisinduzierten Amotivationssyndroms heute als ungeklärt gilt. Der Zustand ist sicherlich eher selten. Persönlichkeit und Beikonsum anderer Drogen machen es zudem schwierig, ein amotivationales Syndrom per se auf Cannabis zurückzuführen (Nicholi 1983, Hollister 1988).", so Franjo Grotenhermen und Robert Gorter in ihrem Beitrag "Cannabis und Psychosen"
[https://archiv.hanflobby.de/archiv/cannabis-psychosen.html] [Fussnote [1] und [2] von Drug Scouts eingefügt, siehe unten]
Aufgeführte Literatur: Hollister, L. E.: Cannabis -1988. Acta Psychiatr. Scand. 345 (Suppl.), 108-118 (1988). Jones, R. T.: Marijuana. Health and treatment issues. Psychiatr. Clin. North Am. 7, 703-712 (1984). Nicholi, A. M., Jr.: The college student and marijuana: research findings concerning adverse biological and psychological effects. J. Am. Coll. Health 32, 73-77 (1983). Smith, D. E.: Acute and chronic toxicity of marijuana. J. Psychedelic Drugs 2, 37-47 (1968).
Selbst nicht akzeptierend arbeitende Einrichtungen stellen die Existenz des amotivationalen Syndroms in Frage. "Aufgrund der Forschungsergebnisse kann daher die Annahme eines durch Cannabis erzeugten Amotivations-Syndroms nicht aufrechterhalten werden." oder sind sich zumindest unsicher und formulieren sehr vorsichtig: "Vor allem als Folge eines länger dauernden, häufigen Cannabiskonsums soll sich ein "amotivationales Syndrom" einstellen, das sich in einer Antriebsverminderung bezüglich schulisch-beruflicher Weiterentwicklung, reduzierter Leistungsbereitschaft und herabgesetzter Frustrationstoleranz äußert." https://jhj-hamburg.de/
Dennoch hält sich der Mythos einer durch Cannabis verursachten und manifesten Null-Bock-Stimmung hartnäckig. Der Begriff "Amotivationales Syndrom" ist im Internet vielerorts zu finden, so auch in der Erfahrungsberichte-Rubrik auf unserer eigenen Seite. Z.B. schreibt ein 38jähriger Arzt einer psychiatrischen Klinik im Beitrag "Zuviele kiffen zuviel?" : "... Die nur so abhängen ("Amotivationales Syndrom" = Kein Bock auf gar nichts in allenStärken/Ausprägungen) sehen wir eher nicht, die versanden eventuell über die Jahre in ihrem Zimmerchen, rauchen, hören Musik ... "
[Beitrag vom 29.12.2003, drugscouts.de/de/experiencereport/kategorien/Cannabis]
Auffällig ist, dass gerade in medizinischen, psychiatrischen, psychologischen Betrachtungen des Phänomens Drogenkonsum der Terminus [bzw. das "Krankheitsbild"] "Amotivationales Syndrom" häufig gebraucht wird. Nicht nur aus wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern auch aus der alltäglichen Erfahrung der Drug Scouts kann allerdings sicher geschlossen werden, dass sich die THC-User von Nicht-KonsumentInnen im Punkte Motivation praktisch nicht unterscheiden.
Ob umgekehrt Personen, die weniger motiviert sind, eher als andere Cannabis konsumieren, lässt sich für uns nicht so einfach beantworten. Zumindest sind uns dazu keine neueren Studien bekannt. Die Gründe für Drogenkonsum sind ja bekanntlich ausgesprochen vielseitig: Probleme verdrängen, Spass haben, Entspannung, Bewusstseinserweiterung oder eben der passende Rausch, um die vielleicht schon vorhandene Langeweile erträglicher zu machen. Abgesehen davon, inwieweit psychoaktive Substanzen diese verschiedenen Erwartungen auch erfüllen [können]: Wer antriebsarm ist, sucht sich möglicherweise die passende Substanz zu seinem/ihrem Gemütszustand. Sich dann für Cannabis zu entscheiden, ist aufgrund des Wirkspektrums von THC durchaus naheliegend. Das gilt auch für einen regelmäßigen und dauerhaften Konsum. Die THC-Dosis muss über eine längeren Zeitraum zwar oft leicht erhöht werden, aber die Substanz funktioniert dennoch bei vielen über eine größere Zeitspanne recht gut: die erwünschten Wirkungen überwiegen eventuelle [Langzeit-]Nebenwirkungen.
Verallgemeinern lässt sich das allerdings keinesfalls. Wer sich für den Konsum einer Substanz entscheidet, entscheidet sich bei jedem Konsum - auch wenn er/sie gewohnheitsmäßig konsumiert - immer wieder aufs neue dafür oder dagegen. Viele antriebsarme, verzagte, demotivierte oder gelangweilte Personen [egal ob ihre Gemütsverfassung nun dauerhaft so ist oder einmalig] wählen für den Konsum ja durchaus auch psychoaktive Stoffe, die die psychische Grundstimmung in ihr Gegenteil verkehren soll. Sie konsumieren also mit der Absicht, aus Müdigkeit, einer langen Weile oder einer Depression mittels Stimmungsaufhellern oder Wachmachern kurzzeitig oder dauerhaft wieder herauszukommen. In diesen Fällen sind dann psychische Zustände von Antriebsarmut und Demotivation ausschlaggebende Gründe für den Konsum und vorher vorhanden. Hier von einem vorher bestehenden "Amotivationalen Syndrom" zu sprechen, ist jedoch unserer Ansicht nach kontraproduktiv, da der Begriff - wie oben beschrieben - ideologisch belegt und missverständlich ist.
Es soll an dieser Stelle nicht geleugnet werden, dass es durchaus eine Anzahl von Cannabis-GebraucherInnen gibt, deren Lebensmittelpunkt für eine bestimmte Zeitspanne [einige Wochen, Monate oder Jahre] ausschließlich das Kiffen zu sein scheint. Oft stellt diese Phase des Hardcore-Kiffens allerdings einen zeitlich begrenzten Abschnitt dar. Nach einiger Zeit des ständigen, starken THC-Gebrauchs werden dann meist andere Dinge wie Zukunftsplanung, Beziehungsanbahnung, Reisepläne, Ausbildungsträume, Kinderkriegen oder Autotunen [wieder] wichtiger. Entscheidend ist hier wohl, das nur der User selbst beurteilen kann [und sollte], wie wichtig ihm der Konsum von Cannabis gerade ist und ob er die Situation verändern möchte oder eben nicht. Die Rede vom "Amotivationalen Syndrom" scheint uns hier oft als moralische Keule zu dienen: Wer nicht überproportional willig und bereit ist, Leistung zu erbringen, ist eben demotiviert.
Dass aber bei Perspektivlosigkeit, Leistungsdruck, Überbeanspruchung [z.B. unbezahlte Überstunden] oder Unterforderung [langweilige Jobs] bei schlechter Bezahlung als "normale" Erscheinungen unserer Gesellschaft ganz selbstverständlich Probleme für den oder die Einzelne/n auftreten müssen, sich "ordentlich" zu motivieren, wird hier geflissentlich ausgeblendet, verschwiegen und lieber auf die "böse Drogen", in diesem Falle Cannabis geschoben. Eine sachliche Diskussion um Drogen und deren Wirkungen ist hier nicht nur unbequem, sondern stört die Betrachtung unserer Welt in Schwarz und Weiß, Gut und Böse. In diesem Sinne: Kampf dem "Amotivationalen Syndrom"!
Weiterführende Links zur Diskussion ums "Amotivationale Syndrom":
http://www.bisdro.uni-bremen.de/publica-internet.htm
http://www.cannabislegal.de/studien/lg_luebeck.htm
http://www.legalisieren.at/
http://www.cannabislegal.de/
[1] ist ein Rückstand oder Rest [als Folge einer Krankheit, eines Prozesses o.ä.]
[2] sind Statistiken die kausale Zusammenhänge darstellen.